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Nr. 3 / Juni 2024

Medizinisches Cannabis: Verantwortungsbewusster Gebrauch im Einzelfall

Seit dem 1. April 2024 dürfen Erwachsene in Deutschland einen Joint rauchen – ganz legal. Bereits seit 2017 können Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen und in begründeten Ausnahmefällen Cannabis auf Rezept erhalten. Dr. med. Mike Zellnig, Chefarzt des Fachbereichs Schmerzmedizin am BG Klinikum Duisburg, zu den Vor- und Nachteilen des Suchtmittels in der Medizin.
Eine Ärztin halt ein Cannabisblatt in die Kamera Quality Stock Arts – shutterstock.com

 

Welchen Sinn und Nutzen hat Cannabis für die Gesundheit von Menschen?

Mike Zellnig: 

Medizinisches Cannabis bei der Therapie von Krankheiten einzusetzen ist naheliegend, denn wir haben selbst Cannabinoide in uns. Genauer gesagt Endocannabinoide, die mit Rezeptoren das Endocannabinoid-System in unserem Körper bilden. Wir stellen im Körper selber Moleküle her, die an die Cannabinoid-Rezeptoren ankoppeln. Es liegt also nahe, an einen Nutzen für unsere Gesundheit zu denken – sonst würden wir das nicht selbst produzieren.

Die internationale Schmerzgesellschaft rät allerdings zur Vorsicht. Das hängt vor allem mit der quantitativ und qualitativ schlechten Datenlage zusammen und auch mit den vielen Wirkmechanismen von Cannabis. Die Aktivität dieses im Körper ist so komplex, dass wir schlicht noch nicht ausreichend wissen, durch welche Prozesse was passiert.

Zum Beispiel bei orthopädisch bedingten Rückenschmerzen oder Arthritis: Hier besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, chronische Schmerzen zu reduzieren. In den Studien, in denen ein Vergleichspräparat eingesetzt wurde, gab es keine signifikanten positiven Effekte.

 

Wo hat es Vorteile, wo überwiegt das Negative, wo sind die Grenzen?

Mike Zellnig: 

Der aktuellen Studienlage zufolge gibt es gegenüber konservativen Behandlungsmethoden nur wenige Vorteile. Wenn herkömmliche Therapien nicht wirksam oder unverträglich sind, können Cannabispräparate sinnvoll sein. Es gibt zudem Beispiele, wonach Menschen die Dosis ihrer Medikamente reduzieren konnten, wenn sie Cannabis nahmen. Für Spastik bei multipler Sklerose etwa gibt es ein zugelassenes Cannabispräparat.

Cannabis hat aber auch unspezifische Wirkungen, zum Beispiel ist es stressreduzierend und schlafanstoßend. Es kann daher im Einzelfall auch solche Indikationen betreffen, bei denen Cannabis im Rahmen einer synergetischen Behandlung zusätzlich sinnvoll sein kann.

 

Kann man vom medizinischen Cannabis abhängig werden?

Mike Zellnig: 

Wir müssen hier zunächst zwischen Sucht und Abhängigkeit unterscheiden. Die WHO hat den Begriff Sucht durch Abhängigkeit ersetzt. Bekanntermaßen macht auch die Substanz Koffein körperlich abhängig. So mancher bekommt etwa Kopfschmerzen bei Entzug. Allerdings entstehen hier keine sozial-nachteiligen Effekte. Man vernachlässigt seine Freunde nicht oder rutscht sozial ab, um sich ganz dem Kaffeekonsum widmen zu können.

Bei Cannabis ist das anders. Rund zehn Prozent der Freizeitkonsumenten gelten als abhängig. Beim Entzug von Cannabis kann es auch zu psychischen und körperlichen Folgen kommen wie etwa einer ausgeprägten Unruhe.

 

Wie ist Ihre Meinung, empfehlen Sie medizinisches Cannabis?

Mike Zellnig:

Ich bin für den verantwortungsbewussten Gebrauch im Einzelfall. Ich sehe nicht, dass konservative Therapien immer ausgeschöpft werden. Empfehlenswert ist dann auch nur die orale Verabreichungsform, also in Form von Kapseln und Tropfen. Dadurch ist gesichert, dass die Wirkung möglichst gleichmäßig vorliegt. Das ist gerade für Schmerzpatient:innen wichtig. Eine inhalative Einnahme würde die Patient:innen schneller an das Medikament gewöhnen, das Risiko für eine Abhängigkeit wäre zu hoch und die Wirkdauer zu kurz. Und, ganz wichtig, bei allen Patient:innen ist eine interdisziplinäre Abschätzung möglicher Kontraindikationen erforderlich. Psychische Erkrankungen wie etwa eine Psychose schließen die Einnahme von Cannabis aus.

 

Interview: Martin Scheele, freier Journalist

 

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